Samstag, 22. November 2014

REVIEW: Kool Savas – Märtyrer: Macht den Thron frei...?



78 Jahre. Über 28.000 Tage, mehr als 680.000 Stunden. Eine unfassbare Zeitspanne musste Deutschland seit Beendigung der Monarchie im Jahre 1918 darauf warten, wieder einen König zu stellen. Bis eben im Jahr 1996 ein gewisser Savas Yurderi, später besser bekannt als KKS alias King Kool Savas, erstmalig auf Platte seine Thronansprüche verabschiedete. Damals noch auf englisch und als kleines, namenloses Feature bei Cheeba Gardens „Alea Lacta Est“-Tape. 18 Jahre, 3 Alben, zahllose EPs, Features, Mixtapes und ein Urteil später finden sich mit Selfmade Records und einem gewissen Kollegah die ersten Rapper, die sich gegen die Krone auflehnen wollen. Mehr als erfolgreich, so gilt nach zwar erfolgreichen, doch fragwürdig aufgenommenen Ausflügen Savas als Mainstream-Opfer, der den Vertrag mit dem Chart-Teufel in Form einer Kollabo-Platte mit Xavier Naidoo unterschrieb. Was folgt, ist ein Rap-Jahr 2014, welches die King-Frage allgegenwärtig erscheinen lässt. Der scheinbar einzige Rapper Deutschlands, der kein Statement abgibt – Der Titelträger selbst. Der saß wie ein kleiner, glücklicher Junge in seiner Karre, quer durch Süd-, Nord- oder weiß-Gott-was-für-ein-Amerika düsend, weit entfernt jedenfalls vom Social-Media-Land, in dem die Revolution sich formte, gedieh und ausbrach in Form eines Fitness- und Kaufwahns, der mit Gold-Auszeichnungen am laufenden Bande ausgezeichnet war. Der König wäre jedoch nicht der König, würde er nicht darauf scheißen, was das Fußvolk sagt. Und so schreiben wir den 14.August 2014, als jeder, willige Aufstand spontan und aus dem Nichts mit nur einer Zeile zerschlagen wird.

„Als wär' ich nur der King dieser Mukke … Ich bin diese Mukke!“
(„Matrix“)

Lange Vorrede – Wir kommen zu Deutschraps neuem Märyrer, Kool Savas. Das „King“ strich er zwar schon vor Jahren aus dem Namen, doch in der Musik scheint es immer geblieben zu sein, mag man nicht nur der Message des jetzt erschienen, vierten Langspielers des Aachener Glauben schenken, sondern auch die Ohren selbst aufmachen. Denn Savas scheint eben doch der Allrounder schlechthin zu sein. Nach der intensiven Epos-Platte „Aura“, der kommerziell bestverkauften Essah-Platte „Gespaltene Persönlichkeit“ in der Pop-Gegend geht es mit Märtyrer zurück zu den Wurzeln. Statt einem hungrigen, jungen MC, der nach oben, gegen die damalige Elite des Deutschrap, schießt, geht es ihm nun darum zu untermauern, wie weit doch alle anderen mittlerweile unter ihm sind und es sich auf dieser Position gemütlich machen können. Was Märtyrer ist? Battlerap. Feinster Battlerap. Durch und durch. Also fast. Wäre da nicht die lästigen Stimmen von Tim Bendzko und Alex Prince, die die interessante Gabe besitzen, jeden Rap-Song zerstören zu können, sei alles, was um ihre Hooks gebastelt wird, noch so gut. „Ich schlag mir selbst in die Fresse, bevor ihr es tut/ Setz' mich über euch hinweg, Raps Viadukt“ ist nicht nur die erste Zeile des Intros, sondern gibt auch den Takt für das ganze Album vor – So intensiv und kraftvoll wie eh und je präsentiert sich Savas hier, bevor Bendzko eine leise Hook säuselt. „Sie können diese Mukke nicht zerstören, solang ich hier stehe“, sagt er und meint eigentlich „Solang Savas hier steht und ich seinen Hofnarr spiele“. Denn wenn einer alle „Zweifel“ an seinem Titel ausräumen und „Bestätigung“ für alle Zweifler schaffen kann, dann KKS selbst. So, wie er es zweifelsohne tut auf gleichnamigen Track. Mit runtergepitchter Stimme verkündet Laas Unltd., der King hätte seinen Style endgültig verloren – Bis dieser raptechnisch alles niederreißt und der Zweifler plötzlich zum größten Fan wird. „Heute so, morgen so“ - Simpler und besser wurde Deutschrap in diesem Jahr nie beschrieben.

„Rekordhalter Essah hat 'n' Traum wie Martin Luther King/
Leb' ihn aus, wenn die Partitur erklingt/“
(„Zweifel und Bestätigung“)


Technisch und musikalisch ist Essah wieder auf altem Höchstlevel angekommen. Man kann behaupten, was man möchte. Dass die Mukke zu weichgespült wäre. Man kann sagen, die Lines sind teilweise „krebserregend wie Shrimps“ und mindestens genauso einfallslos. Doch Kool Savas zaubert eine Energie auf Beats, wie es kein anderer in Deutschland kann. Selbst mit zwielichtigen Entscheidungen, wie beispielsweise zwischen 12 Tracks krassestem Battlerap plötzlich Mutti eine „Anekdote aus Istanbul“ erzählen zu lassen, kann man dies nicht bestreiten und nur staunen über die Klarheit und Deutlichkeit eines Rappers, der selbst in Doubletime noch verständlicher und präziser spittet als der Großteil der Kollegen. Das Soundbild ist damit auch perfekt abgestimmt auf den Battle-Charakter der gesamten Platte und perfektioniert das Song-Konzept eines Essahs 2014, der das Rad nicht neu erfindet, aber es genauso erfolgreich und vielleicht sogar besser weiterspinnt, als er es je konnte. Lediglich der Mixtape-Charakter durch die verschiedenen Produzenten ist eventuell ankreidbar, vor allem die Übergänge, die teils sehr abrupt ankommen.

„Du bist mit dem falschen Fuß aufgestanden wie Oscar Pistorius!“
(„Es ist wahr/ S A zu dem V“)


Was soll man abschließend noch sagen? Man merkt vielleicht, dass man nicht gerade kleinkariert an „Märtyrer“ gehen muss, um Fehler zu finden. Anekdoten mit Kinderhumor, Gesangs-Hooks, Kinderlieder als Intro verwenden – Es wäre legitim zu behaupten, das störe das Gesamtbild. Was man hierbei schnell übersieht ist allerdings, auf was für einem Level man das ankreidet. Kool Savas rappt in einer ganz anderen Liga, um wirklich schlechte Alben überhaupt produzieren zu können. So bleibt man vielleicht nicht im Gedanken zurück, das Album des Jahres gehört zu haben, aber dennoch mit der Erkenntnis, dass Könige auch 2014 nicht sehr leicht zu stürzen sind. „Macht den Thron frei, der King ist back...“

Wertung: 5 von 6 Sternen

Bester Track der Platte: Zweifel und Bestätigung  

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