78 Jahre. Über 28.000 Tage, mehr als
680.000 Stunden. Eine unfassbare Zeitspanne musste Deutschland seit
Beendigung der Monarchie im Jahre 1918 darauf warten, wieder einen
König zu stellen. Bis eben im Jahr 1996 ein gewisser Savas Yurderi,
später besser bekannt als KKS alias King Kool Savas, erstmalig auf
Platte seine Thronansprüche verabschiedete. Damals noch auf englisch
und als kleines, namenloses Feature bei Cheeba Gardens „Alea Lacta
Est“-Tape. 18 Jahre, 3 Alben, zahllose EPs, Features, Mixtapes und
ein Urteil später finden sich mit Selfmade Records und einem
gewissen Kollegah die ersten Rapper, die sich gegen die Krone
auflehnen wollen. Mehr als erfolgreich, so gilt nach zwar
erfolgreichen, doch fragwürdig aufgenommenen Ausflügen Savas als
Mainstream-Opfer, der den Vertrag mit dem Chart-Teufel in Form einer
Kollabo-Platte mit Xavier Naidoo unterschrieb. Was folgt, ist ein
Rap-Jahr 2014, welches die King-Frage allgegenwärtig erscheinen
lässt. Der scheinbar einzige Rapper Deutschlands, der kein
Statement abgibt – Der Titelträger selbst. Der saß wie ein
kleiner, glücklicher Junge in seiner Karre, quer durch Süd-, Nord-
oder weiß-Gott-was-für-ein-Amerika düsend, weit entfernt
jedenfalls vom Social-Media-Land, in dem die Revolution sich formte,
gedieh und ausbrach in Form eines Fitness- und Kaufwahns, der mit
Gold-Auszeichnungen am laufenden Bande ausgezeichnet war. Der König
wäre jedoch nicht der König, würde er nicht darauf scheißen, was
das Fußvolk sagt. Und so schreiben wir den 14.August 2014, als
jeder, willige Aufstand spontan und aus dem Nichts mit nur einer
Zeile zerschlagen wird.
„Als wär' ich nur der King dieser
Mukke … Ich bin diese Mukke!“
(„Matrix“)
Lange Vorrede – Wir kommen zu
Deutschraps neuem Märyrer, Kool Savas. Das „King“ strich er zwar
schon vor Jahren aus dem Namen, doch in der Musik scheint es immer
geblieben zu sein, mag man nicht nur der Message des jetzt
erschienen, vierten Langspielers des Aachener Glauben schenken,
sondern auch die Ohren selbst aufmachen. Denn Savas scheint eben doch
der Allrounder schlechthin zu sein. Nach der intensiven Epos-Platte
„Aura“, der kommerziell bestverkauften Essah-Platte „Gespaltene
Persönlichkeit“ in der Pop-Gegend geht es mit Märtyrer zurück zu
den Wurzeln. Statt einem hungrigen, jungen MC, der nach oben, gegen
die damalige Elite des Deutschrap, schießt, geht es ihm nun darum zu
untermauern, wie weit doch alle anderen mittlerweile unter ihm sind
und es sich auf dieser Position gemütlich machen können. Was Märtyrer ist? Battlerap. Feinster Battlerap.
Durch und durch. Also fast. Wäre da nicht die lästigen Stimmen von
Tim Bendzko und Alex Prince, die die interessante Gabe besitzen,
jeden Rap-Song zerstören zu können, sei alles, was um ihre Hooks
gebastelt wird, noch so gut. „Ich schlag mir selbst in die Fresse,
bevor ihr es tut/ Setz' mich über euch hinweg, Raps Viadukt“ ist
nicht nur die erste Zeile des Intros, sondern gibt auch den Takt für
das ganze Album vor – So intensiv und kraftvoll wie eh und je
präsentiert sich Savas hier, bevor Bendzko eine leise Hook säuselt.
„Sie können diese Mukke nicht zerstören, solang ich hier stehe“,
sagt er und meint eigentlich „Solang Savas hier steht und ich seinen
Hofnarr spiele“. Denn wenn einer alle „Zweifel“ an seinem Titel
ausräumen und „Bestätigung“ für alle Zweifler schaffen kann,
dann KKS selbst. So, wie er es zweifelsohne tut auf gleichnamigen
Track. Mit runtergepitchter Stimme verkündet Laas Unltd., der King
hätte seinen Style endgültig verloren – Bis dieser raptechnisch
alles niederreißt und der Zweifler plötzlich zum größten Fan
wird. „Heute so, morgen so“ - Simpler und besser wurde Deutschrap
in diesem Jahr nie beschrieben.
„Rekordhalter Essah hat 'n' Traum wie
Martin Luther King/
Leb' ihn aus, wenn die Partitur erklingt/“
(„Zweifel und Bestätigung“)
Technisch und musikalisch ist Essah
wieder auf altem Höchstlevel angekommen. Man kann behaupten, was man
möchte. Dass die Mukke zu weichgespült wäre. Man kann sagen, die
Lines sind teilweise „krebserregend wie Shrimps“ und mindestens
genauso einfallslos. Doch Kool Savas zaubert eine Energie auf Beats, wie es kein anderer in Deutschland kann. Selbst mit
zwielichtigen Entscheidungen, wie beispielsweise zwischen 12 Tracks krassestem Battlerap plötzlich Mutti eine „Anekdote aus Istanbul“
erzählen zu lassen, kann man dies nicht bestreiten und nur staunen
über die Klarheit und Deutlichkeit eines Rappers, der selbst in
Doubletime noch verständlicher und präziser spittet als der
Großteil der Kollegen. Das Soundbild ist damit auch perfekt
abgestimmt auf den Battle-Charakter der gesamten Platte und
perfektioniert das Song-Konzept eines Essahs 2014, der das Rad nicht
neu erfindet, aber es genauso erfolgreich und vielleicht sogar besser
weiterspinnt, als er es je konnte. Lediglich der Mixtape-Charakter
durch die verschiedenen Produzenten ist eventuell ankreidbar, vor
allem die Übergänge, die teils sehr abrupt ankommen.
„Du bist mit dem falschen Fuß
aufgestanden wie Oscar Pistorius!“
(„Es ist wahr/ S A zu dem
V“)
Was soll man abschließend noch sagen?
Man merkt vielleicht, dass man nicht gerade kleinkariert an
„Märtyrer“ gehen muss, um Fehler zu finden. Anekdoten mit
Kinderhumor, Gesangs-Hooks, Kinderlieder als Intro verwenden – Es
wäre legitim zu behaupten, das störe das Gesamtbild. Was man
hierbei schnell übersieht ist allerdings, auf was für einem Level
man das ankreidet. Kool Savas rappt in einer ganz anderen Liga, um wirklich schlechte Alben überhaupt produzieren zu können. So bleibt man vielleicht nicht im Gedanken zurück, das Album des
Jahres gehört zu haben, aber dennoch mit der Erkenntnis, dass Könige
auch 2014 nicht sehr leicht zu stürzen sind. „Macht den Thron
frei, der King ist back...“
Wertung: 5 von 6 Sternen
Bester Track der Platte: Zweifel und
Bestätigung
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