Platz 5: Curse – Uns
2. Oktober 2012. Ich stehe nichtsahnend
in Reihe vier eines Konzerts, dessen Hauptattraktion eigentlich so
gar nichts mit „Uns“ zu tun hat – Aber zum zehnjährigen
Bühnenjubiläum von Fabian Römer gratulierte eben auch Michael
Kurth. Ein Mann, der mir in dieser Sekunde nichts, aber wirklich gar
nichts, sagte. Und dann bietet genau dieser Michael Kurth die besten
drei Minuten einer grandiosen Show, als er das Publikum fragte, was
denn jetzt sei – Jetzt? Jetzt war ich Fan. Nur Tage später einmal
durch die ganze Mediathek geklickt und schon war ich nicht nur um 10
Rap-Gebote klüger, sondern auch um die Erkenntnis, dass, als dieser
Curse sich seine „Freiheit“ im Jahr 2008 nahm, ein grandioser
Künstler Deutschrap vorerst verließ. Zum Glück holt er 2014 nicht
nur sein „Herz zurück“ und bereitet dem Ende ein „Ende“,
denn so berührend, offen und nahbar präsentiert sich in diesem Jahr
kein anderer Künstler. Curse is back – Und wie. Mit knallenden
Drumsets, starken Piano-Klängen und einem generell mehr als
authenthischen Soundteppich der Beatgees bewegt sich der Mindener
lyrisch so ansprechend wie genial auch auf „Uns“ immer noch und
liefert mit einer Zeile die eventuelle Hymne einer ganzen tristen
Jugend- und Landleben-Generation: „Wenn nichts mehr geht, geh ich
weg von hier.“ Kurz, prägnant, richtig. Es sind eben immer noch
die kleinen Zeilen, die Großes im Deutschrap bewegen – Wenn man es
so sehen will, ist „Uns“ der erste Riese in der Top 10 des Jahres
2014.
Platz 4: Marteria – Zum Glück in die
Zukunft 2
Zum Glück in die Zukunft ist nicht nur
das Motto eines jeden, klassischen Silvester- und Neujahreids,
sondern hat auch im Musikbusiness eine große Nachfolge anzutreten.
Schließlich war der zweite Teil um Marty McFly der beste aus der
Trilogie, und so hat das Marten Laciny gefälligst auch zu
inszenieren! Und genau das ist „ZGIDZ II“. Großartig inszeniert.
Das beginnt schon beim gefühlvoll souligen 50er-Jahre Intro, geht
weiter über Hitsingles bis hin zu Saufhymnen, wo „der Knopf, auf
dem Selbstzerstörung steht“ auf tote Hosen trifft. Wer das
kombiniert, schafft es auch, einen Track gemeinsam mit seinem Alter
Ego Marsimoto live zu performen – Trotz Stimmenwechsel. Das dritte
Soloalbum des Rostockers ist mit Sicherheit nicht das absolute
Meisterwerk geworden, was man sich davon versprach, doch allein durch
die grandiose Untermalung der Krauts ist das Album auf jeder
Top-10-Liste seinen Platz wert. Und natürlich nimmt auch Marteria
der Platte nichts. Ob das nun mit der Hooligan-Hymne und den dazu
gehörenden brennenden Bengalos zu tun hat oder doch mit dem
epochalen Abgang einer Zukunft, die hoffentlich wieder an eine Welt
voller Wunder glaubt, sei mal dahin gestellt. Doch wer behauptet,
Marteria hätte enttäuscht, weiß schlichtweg nicht die Brillanz
einer durch und durch ausproduzierten und lyrisch vielleicht nicht
perfekten, aber dennoch inspirierenden Platte zu schätzen. Jetzt
hoffen wir mal, dass Teil 3 nicht so kacke wie der Film wird.
Platz 3: Olson – Ballonherz
Vom
eigens inszenierten Hollywood zum besten Moment des Films, mitten in
Paris spielend. Wie man Ende August merken durfte, klingt so der
Beginn eines absolut perfekten Albums. Und das trotz aller negativen
Vorzeichen. Der kleine Rudeboy aus dem Jahr 2008, der ganz plötzlich
seinen Labeldeal beim Major unterschreibt und plötzlich
Pop-Schnulzen trällert. Aber mit wie viel Talent, Begeisterung und
Detailliebe man das machen kann – Das konnte man auch erst beim
fünften Durchgang von „James Dean“ zu Beginn der Promophase
erahnen. Ballonherz ist kein Album, welches man einmal hört und
weiß, wie unfassbar gut das produziert wirkt. Ballonherz wird von
Mal zu Mal stärker. Aus der eigentlich homogen wirkenden Masse von
Pop-Balladen, welche die Beatgees für den ehemaligen Rudeboy
komponiert haben, hört man vorerst nämlich nur Bekanntes heraus,
was ungleich ein wenig jugendlicher in 1er Jordan-Verpackung ankommt
anstatt in auf dem Bolzplatz ausgelatschten FILA-Schuhen. Beim
zweiten Mal hört man plötzlich das zeternde Echo in der Hook von
„Mein kleines Hollywood“ oder „James Dean“, die sanfte,
unfassbar angenehme Frauenstimme im Background der „Fernweh I“
-Bridge und und und. Und so wird aus Ballonherz nicht weniger als das
Anti-XOXO einer Generation, die eine „Chanel aus deiner Liebeskind“
macht, anstatt ihr Monument auf Selbstmitleid zu bauen. So
unterschiedlich, und dennoch so gleich. Olsons Rechnung geht auf,
sein Ballonherz steigt. Und steigt. Und steigt.
Platz 2: Kool Savas – Märtyrer
Denn ihr habt lang genug gewartet …
Ja, das haben wir. Wie immer. Doch, wie auch 2014 noch immer gilt,
enttäuscht der King of Rap nicht auf Albumlänge. Nach der
Epos-Platte „Aura“, dicht gefolgt von Pop-Ausflügen mit
gespaltener Persönlichkeit, wovon die eine Hälfte aus nerviger
Gesangsstimme besteht, widmet sich Kool Savas auf „Märtyrer“
endlich wieder der Thronverteidigung – Und was lehrte uns schon
„Game of Thrones“ in den letzten Jahren, wie das geht? Richtig,
alle möglichen Titelaspiranten umbringen. Und wenn einer das so
schön kann wie Kool Savas, dann soll er sich doch bitte zeigen, denn
auch jetzt findet, nach 20 Jahren, findet sich keiner, der da das
Wasser reichen könnte. Denn ohne eine einzige Mutter, Freundin oder
sonstwen ins Spiel zu bringen, deklassiert er jeden MC, der „allein
auf dem Thron herrschen“ will. Einwandfrei nicht nur in Tracks wie
„Zweifel und Bestätigung“ dargestellt, sondern auch auf „Es
rappelt im Karton“, in der er zeigt, wer im Deutschrap wirklich
keinen Refrain braucht, um zu überzeugen. „Märtyrer“ ist keine
Platte für den Tumblr-Blog, um ihn mit pseudo-tiefschürfendem
Material zu füllen. „Märtyrer“ ist keine Platte, die sonderlich
anspruchsvoll daher kommt. „Märtyrer“ ist Battlerap in seiner
reinsten Form, einer Kampfform – Und keiner beherrscht sie so gut
wie Savas.
Platz 1: Haftbefehl – Russisch
Roulette
Als Mitte des Jahres die Frage, wer
Bock auf Russisch Roulette hat, im Raum stand, konnte noch keiner
ahnen, was da auf uns zukommt. Denn Haftbefehl hat endlich das
erkannt, was viele ihm schon seit Jahren sagen – Es ist ja ganz
nett, all seine Kumpanen auf Tracks zu verewigen, aber die sind
leider alle nicht so talentiert wie er selbst und ziehen alles
runter. So lässt er die Affen erst auf einer extra-angefertigten
BABO-Edition aus dem Zoo und lässt sein Album das sein, was es sein
soll – ein Soloprojekt. Und was für eins. Haftbefehl hat kein
Straßenrap-Album gemacht. Er hat DAS Straßenrap-Album gemacht. Der
letzte, der Geschichten so realitätsnah, bitter und wahrheitsgetreu
herüber brachte, rappte damals noch von seinem Reich vom ersten bis
zum 16. Stock. Aber Aykut Anhan ist anders. Er ist dunkler, rougher –
Besser. Was der Frankfurter auf Albumlänge zeigt, beschreibt kein
„Hurensohn“, kein „Babo“, kein sonstiges Trendwort, was auch
dem Rapper kein unbenutzbarer Begriff ist – Es beschreibt die
Realität. Und zwar so nah, so greifbar und stark, wie man sie als
Mittelschichtsbürger vielleicht nie kennenlernen konnte oder wollte.
Dass er all das nicht einmal aussagen müsste, weil er mit einer
dermaßen großen Energie ans Werk geht wie es kein anderer kann, ist
ihm wohl auch selbst bewusst. Wenn er von Benny Blanco dann auch noch
mit knallenden Drumsets und rauschenden Synthies unterlegt wird, dann
kommt da eben spontan auch mal das Album des Jahres heraus. „Alles
kleine Bushidos, so war die Lage bevor er kam“ - Und plötzlich hat
es ja jeder gewusst, dieser Haftbefehl rappt gut. Na dann. Lassen wir
das mal so stehen und vergessen etwaige Blogger und die Millionen
Dislikes auf allen YouTube-Kanälen für den Azzlack, der
hoffentlich, entgegen all seiner Tracks, uns noch lange erhalten
bleibt. Aykut Anhan hat es geschafft. Der Babo hat seine 1, auch hier
– Wenn schon nicht in den Charts. Fick diesen ACDC und schmeiß den
Gasherd an stattdessen!
Am 30.12.2014 werden die besten EPs und Punchlines gekürt, inklusive eines Blicks über den großen Ozean. Sobald erschienen, HIER klicken.
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